Ein Bericht von Klaus Pietsch
Lange Strecken werfen lange vorher ihre langen Schatten voraus, seien es der 33er von Sylt oder irgendwelche 42er. Bei 33er und 42er handelt es sich natürlich nicht um Revolverkaliber. Für Kenner sind das Koordinaten, mit denen sie genau wissen: Soll der Schuss nicht nach hinten losgehen, müssen Mann und Frau gut vorbereitet sein. Deshalb musste ein 25er her, der wiederum sollte mit einem 8,5er erledigt werden. Nichts verstanden? Dann erzähle ich die Geschichte doch ausführlicher.
Stephanie, Peter, Wolfgang und ich hatten sich zu einem lockeren 25 km-Lauf vom Stadion bis nach Dänemark entlang der Förde verabredet. Jeder hatte seine kleinen Vorhaben, Wolfgang wollte Learning by running seine neue Kamera im Hosentaschenformat verstehen lernen, Bedienungsanleitung lesen wäre als Schwäche ausgelegt worden. Stephanie war auf die 25 km Laufstrecke fixiert, nicht weniger, aber auch nicht mehr. Ich wollte erstmals überhaupt diese Strecke laufend überleben. Und Peter? Peter gab uns im Stadion mit auf den Weg: „Wir laufen 8,5 Kilometer in der Stunde.“ Wer meinte, das war eine in ihrer Höhe unverbindliche Geschwindigkeitsangabe und solle heißen, wir laufen locker und nicht zu schnell, der hatte sich gewaltig getäuscht.
Los ging es unter ständigem Sabbeln Kielseng entlang, Hafenspitze, Niro-Petersen. Da war noch so viel Luft beim Laufen, dass in Höhe eines großen Fleischhändlers lauthals darüber gestritten werden konnte, in welchem persönlichen Verhältnis sich der Besitzer des Bolzenschussgerätes und der finale Besitzer des abgeschossenen Bolzens befanden. Ans Ergebnis erinnere ich mich nicht mehr, aber wohl an Peters Ansage: „Männer! 8,5! Langsamer!“
Von den Häusern weg runter zum Ostseebad gab es einen Vorgeschmack auf das, was uns auf der dänischen Seite an Wind, genauer an leichtem Sturm erwarten sollte. Weiter ging es nach Wassersleben, Wasser und Weg waren recht aufgewühlt, zudem gab es einen Hangabbruch, der den Weg versperrte. Entweder war Peter in Gedanken beim Tempo oder er war dem Blau seiner Schuhe leid, zwei beherzte Schritte in den Schlamm und zack, wie von Zauberhand ein wunderschön strahlendes Lichtgrau Perleffekt an beiden Füßen. Wolfgang gefiel’s und er fotografierte es, wenn nicht mit dem „Unter Schlamm-„ dann doch wohl mit dem „Unterwasser-Modus“. Kurz vor der Schusterkate hatte sich Peter wieder gefangen. „Langsamer! 8,5.“, sprach‘s und wieder ging es langsamer.
Im Kollunder Wald war es gar nicht gemütlich, der Wind machte ordentlich Lärm in den Baumkronen, die Wellen auf der Förde trugen Schaumkronen. Stephanie erzählte uns voll Freude, dass dieser heute so herbe Ort auch gar lieblich sein kann, wenn man dieses Wenig an Weg mit viel an Schaumwein als Geburtstags-Wandertour mit Angelika absolviert, dann ginge das.
Ab Kollund ging es auf die Straße und am Ortsausgang fing Stephanie an auf die Geschäftsordnung zu pochen, 12 km, die Hälfte ist gleich geschafft, wir drehen doch dann um? Wolfgang und Peter hatten das sicher nicht gehört oder waren besonders clever, Wolfgang schwärmte gerade davon, welch schönen Ausblick man von den neuen Häusern hier hätte. Peter bestätigte das und ermunterte Wolfgang zum Kauf, der wiederum verlangte von Peter eine Million für sein Haus, damit er das mit dem schönen Ausblick kaufen könne. Ich war durch das Gespräch natürlich so gefesselt und musste außerdem auf die ach so gefährliche Straße achten, so dass auch ich nicht antworten konnte. Gut, ich bin ehrlich: Gedacht habe ich, was für ein unwürdiger Ort zum Wenden, wir laufen bis zu Annies Hotdog-Laden, das hat doch was. Stephanie wäre nicht Stephanie, wenn sie die unbeantwortete Frage nicht noch einmal stellen würde. Jetzt hieß es die Hosen runterlassen, wir Männer waren uns einig, Annie ist das Ziel, das ist ja auch gleich um die nächste Kurve. Dass diese Kurve 2 km maß, der Sturm seitlich von vorn kam und die Ostsee im hohen Bogen auf die Straße spritzte, unbedeutende Lappalien am Rande.
Dann war es soweit, 14,7 km, 1:39 Stunden, wir waren bei Anni, Hotdog gab es nicht dafür einen Schluck aus der Pulle und eine Tube Energie. Voller Optimismus – weil, es ging uns wirklich gut – sprachen wir da davon, die paar hundert Meter, die zu den 30 km fehlen würden, holen wir uns im Stadion. Wolfgang machte noch ein paar Fotos im „Andy Warhol“-Modus (statt „Campell’s Soup“ stand „Annies Hot Dog“ über dem Bild) und Peter mahnte: „Männer, nicht schneller als 8,5, sonst bringt das alles nichts!“
So machten wir uns auf den Rückweg, unterstützt von Rückenwind, der aber nicht unbedingt angenehm war. Wieder angelangt im Kollunder Wald wollte Wolfgang vermutlich den „Landschaft-Modus“ probieren. An landschaftlich schöner Stelle durften schöne Menschen posieren und sich fotografieren lassen.
Da das Fotografieren durch Stephanie weniger zur Rubrik „Schnappschuss“ sondern eher zur Rubrik „Bild der Frau“- dauert auch eine Weile bis man damit fertig ist – gehörte, stellten sich mir beim Loslaufen erstmals Muskeln vor, die ich noch nicht kannte. Ihre Verwandten, die sie auch noch mitgebracht hatten, sollte ich später noch kennenlernen. Aber soweit so normal, wir näherten uns ja schließlich Kilometer 21, laufend hatte ich bisher noch nie mehr hinter mich gebracht.
Irgendwie wurde nun Wolfgang ganz hippelig. Wir kämpften uns auf Waldwegen Richtung Schusterkate und er versuchte im Wechsel mit Peter uns beim Laufen zu fotografieren. Das gelang wohl nicht so richtig, irgendwann stellte er fest, einen „Sport-Modus“ hat die Kamera wohl nicht. Die Erkenntnis hätte man auch beim Lesen der Bedienungsanleitung auf dem Sofa in der heimischen Stube haben können, unterhaltsamer war es aber definitiv beim Laufen in netter Begleitung. Und gute Dienste hat sie ja geleistet, die Bilder sprechen für sich.
Bei all der kindlichen Begeisterung für die Technik hatte Peter uns und unser Lauftempo etwas aus den Augen verloren. Erst in Wassersleben klang es uns wieder in den Ohren: „Nicht so schnell, 8,5 Männer!“ Allerdings muss ich sagen, an der Stelle hatte das schon was von einer selbsterfüllenden Prophezeiung. Kilometer 23 war in Angriff genommen und da Peter seine Schuhe auf dem Rückweg nicht noch einmal im Grauton verstärken wollte, liefen wir entlang der Straße und das immer schön bergan bis Danfoss. Wohl dem, der da noch mehr als 8,5 zu leisten vermochte. Am Ende des Berges gab es noch ein letztes Mal Astronautennahrung aus der Tube, bevor wir uns dann die Apenrader Straße hinab Richtung Hafenspitze trudeln ließen, natürlich nicht ohne Ansage…na ja, ihr wisst schon.
Ich weiß nicht, wie es den Anderen ging, aber ab der FFG sagte vom Becken abwärts jeder Muskel Moin und das mit Nachdruck. Für mich war ab hier klar, wenn am Stadion 30 km voll sein sollten, super, denn kürzer ging eh nicht, musste mich ja zumindest bis zum Auto schleppen um meine Überreste nach Hause transportiert zu bekommen. Aber Runden im Stadion dranhängen, um die 30 km zu schaffen, no way! Irgendwie wurde es aber auch in unserer Gruppe ruhiger, nach einem Ampelhalt am Laudrupsbach fiel es nicht nur mir schwer, die müden Knochen wieder in laufähnliche Bewegung zu setzen. Tapfer liefen wir noch die letzten Kilometer und ohne vorherige Absprache waren wir uns einig: Man muss ja noch Ziele haben, 28,6 km sind gut für den Jahresbeginn, 30 km müssen es heute nicht sein. So ging ein schöner Lauf zu Ende, der das Zeug hat, eine Tradition zu begründen. Peter hätte uns nur ein wenig mehr loben können, wir hatten schließlich einen Schnitt von 8,5(8) hingelegt.