Jux mit dem Herrn Jux – Bericht vom Köhlbrandbrückenlauf 2014

Ein Bericht von Klaus Pietsch

Die Hamburger Köhlbrandbrücke, die schönste Brücke Europas, wer kennt sie nicht, schön und imposant anzusehen, fährt man auf der A7 Richtung Süden.

Es gibt Dinge, die müsste man mal machen, wenn da nicht das Wörtchen müsste wäre. Jahraus, jahrein denk ich beim Vorbeifahren, ja, da müsste man mal drüber fahren, wäre sicher schön. Und plötzlich ergibt sich die Gelegenheit, nur anders als man sich das vorgestellt hat. Mit dem Dienstwagen auf der Rückreise nach Flensburg knallte es in Waltershof kurz vor der Einfahrt in den Elbtunnel gewaltig, nette Info vom Reifendruckkontrollsystem, ein Problem mit dem Reifenluftdruck. Wer die Strecke kennt weiß, dort stellt man sich nicht freiwillig zum Räderwechsel an den Fahrbahnrand. Also die Ausfahrt rausrollen und ein lauschiges Plätzchen dafür suchen. Zugegeben, das Plätzchen war weder lauschig, noch konnte ich das Rad wechseln. Schöne neue Autowelt, Ersatzrad Fehlanzeige, stattdessen Notfallset für den Reifen mit Reifendichtmittel und Kompressor. Das untaugliche Notfallset und den Reifen hätte ich direkt entsorgen können, das lauschige Plätzchen entpuppte sich als Wendeplatz vor der Müllverbrennungsanlage. Über die Mercedes-Servicehotline waren Werkstatt, Reifen und Pannendienst schnell organisiert und kurze Zeit später sitze ich samt Auto  mit zerschlissenem Latschen hoch zu Ross auf dem Abschleppfahrzeug. Und dann geht es doch tatsächlich hoch auf die Köhlbrandbrücke. An sich schön, aber Sieger sehen anders aus. So müssen sich Krieger Hannibals gefühlt haben, die zwar die Alpen bezwungen hatten, das aber fußkrank auf dem Rücken eines Elefanten.

Jahre später – noch immer nicht habe ich mit eigener Kraft die Köhlbrandbrücke bezwungen – kommt Stephanie Reichardt und fragt, ob ich nicht Lust auf den Köhlbrandbrückenlauf hätte. Sofort, das war die Chance, gleich anmelden, gar nicht erst auf die lange Bank schieben. Wie es so ist mit den spontanen Entscheidungen, irgendetwas bedenkt man dabei nicht. In diesem Fall war es das Streckenprofil. Weil ja die großen Pötte unter der Brücke durchpassen müssen, sind 53 Meter Durchfahrtshöhe vorgesehen, soll heißen, man muss von der Wasserlinie etwa 60 Meter hoch auf die  Brücke und weil’s ein Rundkurs ist, das Ganze bitte zwei Mal. Stephanie meinte, das ist gar nicht schlimm, wenn man vorher ein bisschen am Berg üben würde. Üben am Berg hieß bei ihr, drei Runden von Solitüde nach Fahrensodde und in Fahrensodde immer den Berg hinauf. Man erinnere sich, Fahrensodde, das ist der Berg, bei dem man aufwärts fast vom Fahrrad fällt, die Euphorie war somit etwas gedämpft. Doch einmal zugesagt, gab es jetzt kein Zurück mehr, vier Wochen, zwei bis drei Mal in der Woche üben. Anfangs dachte ich, da kippt jemand die Straße immer weiter an, es nahm kein Ende bis nach oben. Irgendwann merkte ich, besser ist, man guckt nicht geradeaus, sondern nur einen Meter vor sich auf die Straße. Das hat zwei Vorteile: Man sieht das demotivierende Elend an restlichem Berg nicht und man kann sich das kräftezehrende freundliche Lächeln für die kopfschüttelnd bergan fahrenden Autofahrer sparen.

Dann war es soweit, die halbe Abteilung wusste, Stephanie und ich werden am Köhlbrandbrückenlauf teilnehmen. Gute, wie auch spezielle humorvolle Wünschen sowie touristische Begleitinformationen und diverse Mittelchen zum Überleben wurden mit auf den Weg gegeben. So erfuhren wir, dass die Köhlbrandbrücke die zweitlängste Straßenbrücke Deutschlands ist, 81.000 Kubikmeter Beton und 12.700 Tonnen Stahl verbaut wurden und der Architekt Jux, Egon Jux heißt. Das war das Stichwort: Rumblödeln ist ohnehin unsere Stärke, also freuten wir uns auf den Jux mit dem Herrn Jux. Das klingt jetzt so, als wenn nur Stephanie und ich gemeinsam in Hamburg gestartet wären. Tatsächlich waren es aber Stephanie, Meike Döllgast, ihre Freundin aus dem KBA (Sachgebiet 311), begleitet von Stephanies Mann Peter nebst Wolfgang und Andreas, allesamt Freunde vom 1. Flensburger Lauftreff, ich war somit nur mit großem Herz geduldetes Anhängsel dieser lustigen Truppe.

Die Anreise vollzog sich ganz unterschiedlich. Während die große Gruppe mit Autos gen Hamburg fuhr, versuchte ich es mit der Bahn. Vereinbart war nur, wir starten alle im ersten Lauf 12.00 Uhr, ansonsten wird man sich schon treffen. Schief gehen konnte ja nichts, online angemeldet, Laufshirt bestellt, Rechnung bezahlt, alles gut und die Bahn fährt immer. Leider verpennt und dann mit Alarmstart zum Flensburger Bahnhof, der 7.00 Uhr-Zug nach Hamburg war meiner, ja denkste, der fährt jeden Freitag, aber nicht am Tag der deutschen Einheit. Zum Glück ging über Kiel noch etwas, Hamburg hatte mich dann halbwegs pünktlich. Die S-Bahn nach Veddel war gut gefüllt mit Läufern, sogar eine große Gruppe japanischer Laufjünger war gut gelaunt unterwegs. Am Bahnhof Veddel Ratlosigkeit, die 2 km zum Start/Ziel sollten ausgeschildert sein, aber nicht an jedem Ausgang. Keiner hatte Ahnung wo lang, segensreiche Smartphones navigierten uns, so richtig sicher war man sich des Ankommens aber nie, denn manche Wege im Hafengebiet enden abrupt an Wasser oder Zäunen.

Im Startbereich angekommen, wurde man sofort von der guten Stimmung eingenommen. Musik läuft, alle rundherum haben gute Laune, sind locker und zu Späßen aufgelegt, keine verkniffenen Typen, denen Zeit, Zeit, Zeit auf die Stirn geschrieben steht. Meine gute Laune stürzte jäh ab, reichte doch mein guter Name nicht, um die Startunterlagen zu bekommen. Ich hatte zwar einen zentnerschweren Rucksack mit allem Möglichen mit, aber die Anmeldung oder irgendein Ausweispapier, Fehlanzeige. Und wenn man die Kollegen braucht, dann sind die eben gerade nicht da, keine Stephanie weit und breit. So musste ich mich am Stand für die besonders schweren Fälle anstellen. Nachdem ich meine Leidensgeschichte alle möglichen gespeicherten Daten runtergerasselt hatte, gab es dann doch die Startunterlagen und das Laufshirt. Kurz danach kamen die Flensburger an, von meinem Missgeschick erzählt, gab’s noch einen mit: „Was? Nein, diesen Menschen kennen wir nicht!“, hätten sie gesagt, wenn ich sie um Hilfe gebeten hätte. Allenthalben lustige Unterhaltungen über dies und das, natürlich auch über das Amt.

Der Start rückte näher, Peter schießt mit seiner kleinen Kamera dauernd Bilder, der Nachwelt zur Mahnung, dann Laufklamotten anziehen und den ganzen überflüssigen Kram abgeben. Wir tauschten die Renntaktik aus, Stephanie wollte auf Zeit laufen, Meike ganz gemütlich durchlaufen, selbst hatte ich den Plan durchzukommen, ohne vom Lumpensammler, das ist das Fahrzeug, das die zu Langsamen einsammelt und von der Brücke bringt, eingesammelt zu werden. Peter, Wolfgang und Andreas sagten lächelnd, wir laufen locker einen 10-er Schnitt (10 km/h), kannst bei uns mitlaufen. Ich dachte mir, ihr Schlitzohren, seid allesamt in 2014 schon Marathon gelaufen und wollt locker laufen, ich laufe mein eigenes Tempo, bevor ich neben euch tot gehetzt werde und dann wieder unfreiwillig von fremden Leuten über die Köhlbrandbrücke gefahren werde. So ging’s zum Start.

Mit 2.000 Begeisterten im Starterfeld zu stehen, vom Sprecher wurde die Stimmung noch hoch gepeitscht, war ziemlich ergreifend und sie erreichte den Höhepunkt, als kurz vorm Start Andreas Bourani aus den Lautsprechern dröhnt, „Ein Hoch auf uns, auf dieses Leben, den Moment, der immer bleibt…“ und alle mitschwingen und – klatschen. Schlagartig Stille und die Durchsage: „Sanitäter bitte an die Fischbrötchenbude, dort benötigt eine Person Hilfe!“ Waren zuerst alle in Gedanken beim Hilfebedürftigen, war aber nach wenigen Sekunden den meisten klar, der wirklich arme Mensch war in dem Moment der Fischbrötchenverkäufer, denn fast jeder dachte, wenn das mal nicht am Fischbrötchen gelegen hat, für den Tag ist das Geschäft dann gelaufen.

 

Kurz danach gemeinsames Runterzählen des Countdowns und los ging es, der Wolkenschleier riss auf es gab einen strahlend blauen Himmel und Sonnenschein und es wurde warm, viel zu warm. Den ersten Kilometer war man erst einmal beschäftigt, nicht durch Hackenlatschen anderen die Schuhe auszuziehen oder aber selbst ausgezogen zu bekommen. So hatte ich gleich vom Start weg alle bekannten Gesichter aus den Augen verloren. Bis die Pylonen der Brücke ins Blickfeld kamen liefen wir etwa 2 km bis auf eine kleine Erhebung auf ebener Strecke den Veddeler Damm entlang. Das Feld zog sich immer weiter auseinander, was von hinten toll aussah, besonders als sich dann die lange Schlange auf die Brücke wand. Die Gespräche wurden seltener und kürzer. Jetzt musste die bewährte Bergtaktik her, Blick auf die Fahrbahn und laufen. Nur ist der Anstieg auf die Köhlbrandbrücke deutlich länger als der Anstieg in Fahrensodde. Damit man vom Blick auf den Asphalt nicht meschugge wird, musste ich mir ein überschaubares Stück voraus irgendeinen Orientierungspunkt suchen, bis zu dem ich mit Blick auf die Fahrbahn durchlaufen wollte, der Brückenscheitelpunkt war so frustrierend weit weg, dass man sich den dem besser nicht orientiert. Irgendwann traute ich meinen Ohren nicht, Dudelsackmusik klang herüber. Und tatsächlich, traditionell spielt auf dem höchsten Punkt des Rennens eine Gruppe Dudelsackspieler den Läufern motivierende Melodien. Viele Läufer rafften sich trotz deutlich schwindender Kräfte zum Beifallklatschen für die Musiker auf. Was für ein Moment, die Musik spielt, man hat einen herrlichen Blick über das Containerterminal in Waltershof und die Elbe und… es geht endlich bergab.

Was freuten sich die Beine, nicht mehr bergan laufen zu müssen, alles ging spielend. Irgendwann wich diese Freude aber jäh der Erkenntnis, oh man, wann hört das wieder auf, wann bin ich unten, den ganzen Berg muss ich ja wieder hoch. Das Ganze wurde immer unheilvoller, weil es in einer lang gezogenen Rechtskurve bergab ging und durch eine andere Brücke der Wendepunkt nicht zu sehen war. Nun kamen die ersten Läufer, aber kein bekanntes Gesicht, ich hatte keine Ahnung wo die Anderen waren. Bis zum Wendepunkt traf ich niemanden von uns, komisch. Ich wusste nicht wie schnell ich war, bei dem morgendlichen Alarmstart hatte ich auch die Pulsuhr vergessen. Ein Nebenmann sagte, 32 Minuten sind wir unterwegs, 6 km in 32 Minuten und das bei dem Wetter, das war zu schnell! In dem Moment hörte ich Stephanie rufen und grüßen, in Ordnung, sie teilt sich ihr Rennen vernünftig ein und auf der Brückenauffahrt hat sie mich dann wahrscheinlich eingeholt.

Wieder auf die Brücke hoch, nur nicht zu weit nach vorn schauen, der ewig lange Anstieg ist einfach zu deprimierend. Gesprochen wurde jetzt nicht mehr, immer Mehr gingen vom Laufen zum Gehen über, ein Teil jedoch nur, um Fotos von sich und der wunderbaren Aussicht zu schießen. Einen Selfie mit schönem Hintergrund hatte ich mir auch vorgenommen, aber beim Vorhaben blieb es, die zitternden Hände konnten mal gerade die Handykamera starten, aber das Handy so lange ruhig halten bis es fokussiert hatte ging einfach nicht, also aufraffen und weiter ging es, vorbei an den Dudelsackspielern bergab Richtung Ziel, die letzen 3 Kilometer. Die Sonne brannte unerträglich und Bäume kennt die Brücke nicht. Ein kurzes Stück des Veddeler Damms standen dann ein paar Bäume und man sah die lange Schlange der Läufer die Straßenseite wechseln, nur um der Sonnenglut zu entkommen.

Einen Kilometer vor dem Ende passierte das Unfassbare, ein kleiner Anstieg auf eine Brücke, keine 10 Meter Höhenunterschied, ließen den Kopf nicht mehr mitmachen. Nein, diesen Anstieg läufst du nicht, du gehst, es ging nichts mehr und kurioserweise hatten viele das Kopfproblem. Oben angelangt ging es dann wieder, immer mehr Zuschauer standen am Straßenrand und feuerten die Läufer an, Kinder hielten die Hände raus und wollten von den Läufern abgeklatscht werden, das waren sehr nette Gesten. Im Ziel angekommen, ein herrliches Gefühl, Medaille umhängen lassen und nach den Mitstreitern Ausschau halten, soweit das überhaupt ging, der Körper war total am Ende. Nach und nach trudelten alle ein, alle glücklich, aber was die KBA’ler betraf, doch alle Drei ziemlich fertig. Äußerst wohltuend war die ehrliche Freude, die jeder für die Leistung des Anderen empfand, es wurde gratuliert, jeder teilte seine Erlebnisse und Empfindungen mit den anderen und Peter hielt alles im Bild fest.

Ganz zu Ende ist die Geschichte aber noch nicht. Zu guter Letzt erinnerte ich mich noch der ganzen Sachen, die mir aus der Abteilung in einer Wundertüte mitgegeben wurden, neben diversen Powerriegeln, Mitteln gegen Muskelkrämpfe waren auch zwei Energy Drinks dabei. Diese waren allerdings ein extremes Gegenstück zu dem so wohlschmeckenden Krombacher alkoholfreien Radler, sie kamen in den Geschmacksrichtungen Lakritz, was noch recht wohlschmeckend war und Currywurst daher, Letzteres war eindeutig ekelig, einhellig waren wir der Meinung Currywurst gehört weder in die Dose und schon gar nicht verflüssigt. Aber es war ein netter abschließender Jux einer perfekt organisierten Veranstaltung. Nächstes Jahr wieder, klar!

Jetzt noch ein bisschen Werbung für den 1. Flensburger Lauftreff. Stephanie, Meike, Peter, Wolfgang und Andreas sind nicht nur lustig und nett, sie sind allesamt auch engagiert und richten mit ihrem Verein schon zum 30. Mal den Adventlauf aus. Auch das ist eine perfekt und liebevoll organisierte Gute-Laune-Veranstaltung am 3. Advent im Volkspark. Egal wie schnell jemand ist, wer sich einen Tag voller schöner Erlebnisse und guter Stimmung schenken möchte, gehe am 14.12.2014 in den Volkspark und laufe eine der angebotenen Strecken. Versprochen, es wir ein guter Tag werden, den man in guter Erinnerung behält.