Ein Bericht von Peter Reichardt
Zwei Halbmarathons am Stück, so lautete unser gewagtes Vorhaben. 42,2 km, die zunächst durch Lennep und dann größtenteils über den 60 km langen Röntgenweg führten! Ein Blick auf den Streckenplan zeigte die gewaltige Strecke rund um Remscheid. Höhenunterschiede ca. + 540 HM und – 650 HM. Für norddeutsche Verhältnisse klang dieses Höhenprofil zwar beängstigend, aber unser monatelanges Treppen- und Bergtraining sollte sich nun bezahlt machen. Wie auch in den vergangenen Jahren werden die Langstreckenläufe des Halbmarathons, Marathons- und Ultramarathons morgens gemeinsam auf die Strecke geschickt, die zu 95% dem Röntgenwanderweg oder auch „Rundweg um Remscheid“ entspricht. Insgesamt ist die Strecke 63,3 Kilometer lang, sodass der HM nach 21,1 und der Marathon nach 42,2 Kilometern auf der Strecke endet und die Läufer mit Shuttle-Bussen zum Ausgangsort zurückgefahren werden. Das Besondere an diesem Lauf ist die abwechslungsreiche Landschaft des bergischen (aber auch bergigen) Landes und die Möglichkeit, am Lauftag zu entscheiden, welche Strecke man laufen möchte. Der Läufer kann sich also – rein theoretisch – für den HM melden und Ultramarathon laufen.
Bei grauem Himmel und elf Grad startete die 15. Ausgabe des Röntgenlaufs in Remscheid. Etwa 4.000 LäuferInnen nahmen an einem der vielen Rennen teil: Vom 1. Flensburger Lauftreff dabei: Andreas Bundels und Ralf Tonhäuser, die einen Halbmarathon sowie Wolfgang und ich, die den Marathon laufen wollten. Wir nahmen uns vor, kontrolliert kopf- und garmingesteuert zu laufen. Direkt nach dem Start geht es bergauf – ja, wir lieben es! Berglaufen! Unsere Leidenschaft!
Wilhelm Conrad Röntgen als Erfinder der Röntgenstrahlen und Namensgeber dieses Laufes wurde im Ortsteil Remscheid-Lennep geboren. Sein Geburtshaus und das Deutsche Röntgenmuseum sind dann auch nach dem Start die erste Sehenswürdigkeit, nach einer kleinen Schleife durch die Lenneper Altstadt. Nach diesem kleinen Stück, wo auch die langsameren Läufer mal die schnelleren sehen können, beginnt der eigentliche Lauf auf dem Röntgenweg.
Auf den nächsten Abschnitten, die über kleinere Straßen, kurvenreiche Feldwege und entlang von Wiesen und Äckern führen, ergeben sich immer wieder wunderbare Ausblicke in die bergische Landschaft hinein. Der ständige Rhythmuswechsel beim Laufen durch ständige Anstiege, Gefälle und kürzere ebene Passagen erschwerte ein gleichmäßiges Laufen; dadurch bleibt aber die Landschaft immer interessant und abwechslungsreich. Die Strecke ist bestens mit Pfeilen auf dem Boden, gelb-schwarzen Tafeln an Bäumen und Masten und dazu noch Flatterbänder präpariert. Wir passieren mehrere kleine Orte und Ansiedlungen und werden von zahlreichen Zuschauern mit Ratschen und Rufen angefeuert. Es ist schon etwas Besonderes an diesem Tag, auf Asphalt zu laufen (schätzungsweise vielleicht 10% der Strecke) und fast zum inneren und äußeren Ausruhen für die Füße und die Gedanken, die sonst mit großer Aufmerksamkeit den Untergrund im Voraus erahnen müssen.
Dann wurde doch tatsächlich eine Prosecco-Bar mit einem großen Plakat angekündigt: „Prosecco 300 m“. „WAOH“ dachten wir uns – das klingt ja super! Die Sache hatte nur einen Haken: Eine krasse Steigung mit 15% tat sich auf, ein steiler, schmaler Pfad führte mitten in den Wald. Wir geben zu, die 300 m sind wir gegangen, da es rutschig und sehr eng war. An der legendären „Prosecco-Bar“ haben wir ein kleines Päuschen eingelegt und ein kleines Gläschen Sekt getrunken, so viel Zeit musste einfach sein.
Nach 265 Metern auf – und 420 Metern abwärts erreichten wir nach 2:17 Stunden das Halbmarathonziel am Clemenshammer.
Während die meisten Starter das Rennen hier nach 21,1 Kilometern unter dem Applaus des Publikums beendeten, ging es für die Marathonis, den Ultras und den Staffeln nach rechts Richtung Wald weiter. Schlagartig war es ruhig und das Teilnehmerfeld ausgedünnt. Wir fühlten uns noch ganz gut und waren im Soll. Bis zum Marathonziel hatten wir nun noch 2:43 Stunden für den nächsten Halbmarathon, da wir eine Zeit um die 5:00 Stunden erreichen wollten. Irgendwo liefen wir auf einen Pfad zu, der sich in zackigen Serpentinen den Berg hochzog und mit Stahlgeländern gesichert war. Uns entfuhr irgendwas wie „Die sind wohl bekloppt!“, aber es half ja nichts. Teilweise hatten wir selbst Mühe zu gehen und mussten kurz mal stehend verschnaufen.
Der Blick zur Uhr bei Kilometer 30 verhieß dann nichts Gutes: Wir waren 5 Minuten über unserem angepeilten Zeitziel. Oh, oh, das würde wohl knapp werden.
Etwas erfreulicher war da schon der imposante Blick auf die Müngstener Brücke, bei ungefähr Kilometer 32, die dort auf 465 Metern Länge über die Wupper und auch den Röntgenweg führt. Mit 107 Metern Höhe ist sie die höchste Eisenbahnbrücke, die sich schon seit über 100 Jahren über das Tal der Wupper spannt. Die Wege sind hervorragend und gerade im Herbst auch für eine Wanderung zu empfehlen. Kurz vor dem Solinger Ortsteil Unterburg geht die Strecke dann weiter Richtung Eschbachtal, ein Streckenabschnitt mit Industriegeschichte, denn hier waren, wie auch schon im Morsbachtal, die ersten Hammerwerke angesiedelt, die die schweren Hämmer durch kräftige Wasserräder bewegten. Die weitere Strecke führt im Wechsel von Aufstiegen und Gefällen auf guten Waldwegen oberhalb der Wupper entlang. Wir sind im Bergischen Land, das seinen Namen noch nicht mal der Topographie verdankt. Das kennt jeder Wanderer: Es ist anstrengend. Die Knie gehen in dieselben.
Irgendwann fängt mein Oberschenkel an zu murren, Wolfgang bemerkt plötzlich ein Ziehen in der Wade, unser Tempo verlangsamt sich automatisch.
Nach kurzer Zeit taucht der ersehnte Verpflegungstand auf, wir trinken etwas und nehmen dankbar einen Snack entgegen. Die letzten Anstiege bezwingen wir mit Powerwalken.
Nach einer weiteren Überquerung einer durch die Polizei abgesicherten Straße verläuft der weitere Weg im wunderschönen Eschbachtal. Bei km 38 – 40 ist ein letzter steilerer Abschnitt zu nehmen, bis bei km 40 langsam der Abstieg zum Freizeitbad beginnt, wo viele begeisterte Menschen versammelt sind, die das Finishen der MARATHONIS und die weitere Reise der ULTRAS mit ihrem Beifall begleiten. Jeder, der es geschafft hat, wird namentlich beglückwünscht. Als wir eintreffen, ist es aber schon 13:37 Uhr, also bereits ca. 5:07 Stunden nach dem Start des Rennens. Im Ziel angekommen, werden wir von Andreas und Ralf, mit dem ersehnten Bier in Empfang genommen. Wolfgang und ich liegen uns glücklich in den Armen, wir können es immer noch nicht fassen, wir haben es geschafft!!!!
Für Wolfgang und mich war es unser schwerstes Marathon-Rennen überhaupt: 05:07:27 Stunden. Die mörderischen Steigungen und Gefälle haben von uns alles abverlangt, an der Substanz gezehrt, aber wir sind überglücklich, stolz und total zufrieden. Neben der Medaille gibt es noch einmal die komplette Getränke-Auswahl, Riegel und die berühmte Marathonschnecke (ein leckeres Gebäck). Doch wir genießen erst einmal unser Bier, machen Fotos und lassen den Nachmittag gemütlich bei Gesprächen und gutem Essen ausklingen.
Dieser Text ist ganz schön lang geworden. So lang fühlte sich auch der Röntgenlauf über 42,2 km an. Ihr habt euch irgendwie bis ans Ende dieses Textes durchgewurstelt. So war es für uns auf dem Röntgenlauf. Wir waren einfach irgendwann da!
Zahlen:
HALBMARATHON: An den Start gingen 1234 Athleten, sechs kamen nicht ins Ziel.
MARATHON: Am Start waren 256 Sportler, 17 erreichten das Ziel nicht.
ULTRA UND 100 KM: An den Start gingen 488 Läufer, 83 von ihnen kamen nicht an.
RESUMEE
Glück mit dem Wetter! Tolle Betreuung und Verpflegung, begeistertes Publikum, lockere und heitere Stimmung unter den Läufern aller Laufstrecken. Dem Organisationsteam kann man nur ein großes Lob aussprechen. Verpflegung, Absperrung, Stimmung, Strecke, alles 1a an der A1.
WIR KOMMEN WIEDER!